Warum sich so wenige Frauen beim Reporterpreis bewerben*

*Spoiler: Es ist ein strukturelles Problem und liegt nicht etwa daran, dass Frauen einfach keine Lust haben, sich bei angesehenen Journalistenpreisen zu bewerben.

Aber von vorn. Gestern Abend wurde der renommierte Reporterpreis verliehen. Und auf Twitter wurde von verschiedenen Seiten angemerkt, dass nur wenige Frauen vertreten seien (ein Phänomen, das immer wieder bei solchen Journalistenpreisen festzustellen ist). Dann, kurz vorm Ins-Bett-Gehen, las ich folgenden Tweet:

Dieser Tweet hat mich erst aufgeregt und dann lange beschäftigt. So lange, dass ich nach einer schlafarmen Nacht entschieden habe, meine Gedanken dazu in aller Kürze aufzuschreiben.

– Und bevor jetzt gleich wieder Einwürfe kommen, ich als weibliche Journalistin wolle den männlichen Journalisten etwas wegnehmen oder missgönnte ihnen den Erfolg: Mitnichten! Ich mag männliche Journalisten: Ich bin mit einem verheiratet und einiger meiner besten Freunde sind männliche Journalisten. Und nein, ich habe mich nie beim Reporterpreis beworben und habe das auf absehbare Zeit auch nicht vor. –

Im Fall von Herrn Schnibben: Ich kenne ihn nicht persönlich. Frage mich nach dieser von „Turi2“ zitierten Aussage allerdings ernsthaft: Sieht er die Lage um sich herum nicht? Oder blendet er das Geschlechterverhältnis in seiner Journalisten-Preisklasse bewusst aus? (Wer nicht weiß, wer Cordt Schnibben ist: Er ist ein renommierter Magazinjournalist, der bis vor kurzem mehrere Jahrzehnte lang beim „Spiegel“ festangestellt war.)

Weil ich aber daran glaube, dass der Austausch von Argumenten und Erlebnissen tatsächlich weiterführt und ich hoffe, Menschen zu erreichen, die sich bisher noch nicht so viele Gedanken über das Problem gemacht haben, möchte ich nun drei Beobachtungen aus meinem Berufsleben erzählen. Die erste geht mehr als 15 Jahre zurück, die zweite geht ein knappes Jahr zurück, die dritte ist von heute Morgen.

  • Im Journalistik-Studium habe ich viele tolle angehende Journalistinnen und Journalisten kennengelernt. Hätte man mich kurz vorm Ende meines Studiums 2001 gefragt, ob ich mir darüber Gedanken mache, ob sich die Frauen genauso durchsetzen wie die Männer, hätte ich verwundert aufgeschaut und geantwortet: „Warum sollte ich mir darüber Gedanken machen? Das ist doch selbstverständlich, wir haben schließlich 2001!“
    Wenn ich jetzt, 16 Jahre später, nach den vielversprechenden Kommilitonen und Kommilitoninnen von damals Ausschau halte, sind es mit ganz wenigen Ausnahmen die Männer, die an exponierter Stelle im Journalismus stehen oder große Themen und renommierte Projekte bearbeiten.
  • Anfang des Jahres habe ich im Rahmen einer Beratertätigkeit Einblick in zwei Dutzend Lokalredaktionen im ländlichen Bereich erhalten. Die überwiegende Mehrheit der dortigen Redakteure: Männer jenseits der 55. Allerdings waren sie sich – anders als Cordt Schnibben – durchaus bewusst, dass die Redaktionsstruktur zu alt und zu männlich ist und viele potenzielle Leser und Leserinnen einfach nicht mehr erreicht werden: „Aber was sollen wir dagegen machen? Die Kolleginnen sind alle irgendwann gegangen, weil sich der Job nicht mit der Familie vereinbaren ließ.“
  • Um jetzt auch ein paar handfeste Zahlen nennen zu können, habe ich heute Morgen zwei Impressen genauer angeschaut. Und zwar das „Spiegel“-Impressum und das „Zeit“-Impressum. Ich habe mir je vier Ressorts herausgesucht, die man in etwa vergleichen kann und die ein hohes Ansehen haben:
    „Spiegel“
     – (Ausgabe 50/2017) –
    Hauptstadtbüro: 19 Festangestellte, davon 11 Männer => 58 Prozent.
    Deutschland:  27 Festangestellte, davon 17 Männer => 63 Prozent.
    Wirtschaft: 13 Festangestellte, davon 8 Männer => 62 Prozent.
    Investigativ: 4 Festangestellte, davon 4 Männer => 100 Prozent.
    „Zeit“
    – (http://www.zeit.de/impressum/impressum-print – besucht am 12.12.17) –
    Politik (inkl. parlament. Korresp.): 12 Festangestellte, davon 7 Männer => 58 Prozent.
    Wirtschaft: 13 Festangestellte, davon 9 Männer => 69 Prozent.
    Hauptstadtredaktion: 10 Festangestellte, davon 8 Männer => 80 Prozent.
    Investigative Recherche: 6 Festangestellte, davon 5 Männer => 83 Prozent.

Natürlich haben meine Beobachtungen keinen repräsentativen Anspruch. Klar gibt es auch Bereiche/Ressorts/Redaktionen, in denen Journalistinnen in der Mehrzahl sind. Und natürlich gibt es erfolgreiche Kolleginnen, die großartige Journalistinnen sind und die Preise für ihre Arbeit bekommen.

Aber – und da bin ich mir nach mehr als zwei Jahrzehnten im Job in unterschiedlichen Redaktionen und Positionen ganz sicher – wir haben ein strukturelles Problem. Und das Geschlechterverhältnis zu verbessern, ist kein Selbstzweck. Denn die knappe Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und damit ihre Themen und ihre Bedürfnisse einfach zu ignorieren, das ist nicht zukunftsträchtig. Doch der Lösungsansatz lautet nicht: Frauen, bewerbt Euch für mehr Journalistenpreise. 

An die Männer, die, wie Herr Schnibben sagt, auch vom Männerüberhang genervt sind: Lasst uns gemeinsam etwas dagegen tun.

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